„Ich wünsche mir, wir würden eine Fabrik errichten, in der wir ein Fahrzeug rückwärts bauen können“. Ob und wann dieser Traum von Prof. Hans-Josef Endres vom Institut für Kunststoff- und Kreislauftechnik an der Leibniz-Universität Hannover wahr wird, ist unklar. Aber er umfasst die vielfältigen Aspekte einer Kreislaufwirtschaft in der Automobilindustrie. Die Circular Economy war Thema des Jahresnetzwerktreffens am 22. August 2024, zu dem die Niedersachsen.next Automotive Agentur und die Niedersachsen.next Digitalagentur eingeladen hatten.

Mit Recycling und Wiederverwendung von Teilen und Materialien allein ist es nicht getan. Bereits bei der Konstruktion gilt es, Ressourcen nachhaltig einzusetzen, Alternativen für fossil basierte Rohstoffe zu finden und den CO2-Ausstoß in der Produktion zu reduzieren. Am Ende des Fahrzeug-Lebens muss die Branche dafür sorgen, dass der Wertstoff-Kreislauf geschlossen wird. Die Herausforderungen durch europäische Vorgaben sind groß und zahlreich. Andererseits gibt bereits viele gute Forschungsansätze, neue Geschäftsmodelle und ein sehr großes Innovationspotenzial – nicht nur, was Materialien und Energie angeht, sondern auch in Sachen Digitalisierung.

Zu Gast beim Kooperationspartner des Treffens, dem IKK – Institut für Kunststoff- und Kreislauftechnik, auf dem Maschinenbaucampus in Garbsen bei Hannover startete das Treffen mit einer Begrüßungsrede von Dr. Anna Meincke, der Leiterin der Stabsstelle Transformation im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung. Ihre zentrale Botschaft: Die derzeitige Transformation ist eine Chance für die gesamte Gesellschaft, die die Möglichkeit hat, die Veränderung aktiv mitzugestalten.

„Zur Fragestellung Kunststoff und Recycling hat sich vor 20 Jahren keiner Gedanken gemacht.“ Deswegen gebe es einen großen Bedarf, sich wissenschaftlich mit dem Kunststoffrecycling zur befassen, wie es am IKK erfolgt. Um die Forschung mit Unternehmen und Verwaltung in den Austausch zu bringen, gebe es Niedersachsen.next und seine Vernetzungsformate.

 

Das Team der Niedersachsen.next Automotive-Agentur nach dem kurzweiligen und gelungenen Jahresnetzwerktreffen (v.l.): Dr. Mathias Rechel, Rainer Müller (Transfer-X), Dr. Norbert Gebbe, Dr. Oleksandre Gryshkov (TraWeBa), Olexander Filevych – zusammen mit Referatsleiter Björn Korte aus dem Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung (zweiter von rechts).

Gastgeber Prof. Hans-Josef Endres ging in seiner Willkommensrede davon aus, dass „wir in 50 Jahren so weit sein werden“, dass Dekarbonisierung erreicht sein könnten. Wobei er den Begriffe Defossilierung bevorzuge – denn auch in Kunststoff, der aus nachwachsenden Rohstoffen erzeugt wird, sei das chemische Element Kohlenstoff enthalten.  Doch noch sind viele Fragen offen. „Die Natur ist nachhaltig. Sie baut nichts auf, was nicht abgebaut werden kann.“ Dies sei das ‚organic recycling‘. Für das „man-made recycling“, also Plastik, müssten jetzt Lösungen gefunden werden.

100 Prozent-Vision

Recycling fängt bereits beim Design an: Michael Frambourg von der „Volkswagen Group Innovation“ (ehemals Konzernforschung) streifte in seiner Keynote die zahlreichen einzelnen Fragestellungen, die VW inzwischen betrachtet. Welche Material ist das richtige? Welche Anforderungen gibt es? Aus welchen alternativen Materialien kann Kunststoff hergestellt werden? Was können wir tun, damit ein Auto länger nutzbar ist und effizienter genutzt werden? Wie kommen die Autos nach ihrem durchschnittlich 20jährigen Leben zurück zum Hersteller? Wie sieht die Nachnutzung aus? Das alles könne auch ein großer Konzern wie Volkswagen nur in Kooperation bewältigen. Deshalb suche VW nach starken Zukunftspartnern, um neue Geschäftsmodelle umzusetzen. Der wirtschaftliche Aspekt sei nicht zu vernachlässigen: Mit Circular Economy lasse sich auch Geld verdienen und nicht zuletzt trage sie zur Resilienz der Lieferketten bei, denn „eigene Materialströme machen unabhängig.“ VW habe die Vision, die Materialien zu 100 Prozent wieder nutzbar zu machen und 100 Prozent Rezyklat einzusetzen.

Erfolg durch Netzwerke

Strategische Kooperationen bilden, Innovationen voranbringen, Netzwerke nutzen, kreative Ideen bekannt machen: Das ist die Grundidee von Niedersachsen.next und spiegelte sich in den Antworten auf die Frage „Was brauchen wir“ aller Podiums-Teilnehmerinnen und -teilnehmer wider. Neben Michael Frambourg und Dr. Anna Meincke nahmen auch Dr. Evin Zozan vom Verband der Automobilindustrie (VDA) e.V. und Prof. Andreas Rausch vom Center for Digital Technologies (DIGIT) teil. Moderator Frank Schmidt hatte quasi ein Heimspiel: Er ist selbst studierter Maschinenbauingenieur und steuerte auf der Bühne auf dem Campus in Garbsen zielgerichtet die Veranstaltung.

Professor Andreas Rausch vom Center for Digital Technologies, einem Forschungszentrum der TU Clausthal in Kooperation mit der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften ging in dem Podiumsgespräch auf das „Design for Recycling“ ein: In einem Scheinwerfer zum Beispiel sei alles verklebt. Das lasse sich nicht mehr so einfach aus dem Auto herausholen – also werde geschreddert. „Wir brauchen eine Vorbehandlungsstrategie und viel mehr Intelligenz in den Recyclinganlagen, denn oft wissen wir gar nicht, welche Farbe hinten raus kommt.“ Damit gar nicht erst so viele unterschiedliche Materialien gemeinsam geschreddert werden, gehe es darum, Autoteile anders miteinander zu verbinden. Auch die Qualitätsverluste der Materialien müssten berücksichtigt und noch mehr erforscht werden:  „Wir brauchen Prüfverfahren, damit Materialien gerne zurückgenommen werden und wir wissen, was sie noch wert sind. Also: Wie muss ein Unterboden, der mit Schmierstoffen und Streusalz in Berührung kommt, beschaffen sein, damit ich ihn nach 10 Jahren gerne zurücknehme?“

Kreislaufwirtschaft mit Recycling gleichzusetzen sei zu kurz gedacht, Dr. Zozan vom VDA mit Hinblick auf die Prämisse in der Entwicklung „Design for Recycling“. Vielmehr sei auch das „Design für Sustainibility“ das Gebot der Stunde. Es gehe um Material- und Ressourceneffizienz, Langlebigkeit der Produkte, Reperaturfähigkeit sowie die dazu gehörende Versorgung mit Ersatzteilen. Rezyklatquoten seien technologisch gesehen wenig zieflführend. Denn insbesondere in der Automobilindustrie müssten die Materialstandards hoch gehalten werden. „Da macht es wenig Sinn, Quoten zu setzen. Es geht darum, eher bei der Qualität der Recycling-Materialien anzusetzen“, sagte Dr. Zozan. Der VDA setze sich für digitale Verwertungsnachweise ein, um zu wissen: „Wo bleiben die Altfahrzeuge, die wir für die Weiterverwertung  brauchen?“. Der Batterie-Pass sei ein gutes Beispiel: Er liefere Infos über das Leben der Batterie, sodass Schnittstellen zur Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit gefunden werden könnten. „Da wirken wir aktiv mit.“

Viele unterschiedliche Forschungsansätze, Innovationen und Ideen, die Partner suchen, wurden in zwei Pitcher-Runden sowie in einer Ausstellung im sogenannten Spine (Rückgrat) des Produktionstechnischen Zentrums Hannover (PZH), zu dem das IKK gehört, vorgestellt und diskutiert. Zeit zum Austausch und Netzwerken plant die Niedersachsen.next Automotive Agentur immer von vorneherein ein.. Doch wie immer war die Zei viel zu kurz – wir sind gespannt auf Kooperationen, Projekte, Kontakte etc. die daraus entstehen.

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