In dieser Serie beleuchten wir anhand des 5-R Ansatzes (Re-use, Re-fuse, Re-duce, Re-think, Re-cycle) verschiedene Konzepte zur Steigerung der Nachhaltigkeit und zur Kreislaufwirtschaft in der Automobilindustrie. Die Video sind im Rahmen des Jahresnetzwerktreffens der Niedersachsen.next Automotive Agentur und Niedersachsen.next Digitalagentur entstanden – als Rückschau auf die Fachveranstaltung zum Thema: „Zukunft der Automobilindustrie – kreislauforientiert und digital“ am 22. August 2024.

Re-cycle

Pyrolyse-Öl statt Erdöl: Durch den Einsatz von technischen Kunststoffen aus chemischen Rezyklaten in der Automotive-Industrie kann jede Menge CO₂ eingespart werden. Der fossile Rohstoff wird ausgetauscht, und am Ende entsteht ein Produkt in gleicher Qualität, sodass eine Rezertifizierung nicht notwendig wird.

Recycling bedeutet, ausgediente Produkte zu entsorgen, möglichst werkstoffrein zu sortieren und in einen neuen Produktzyklus einzubringen.

Stefan Loheide von BOGE Rubber & Plastics – Hersteller von technischen Kunststoffbauteilen und gummielastischen Teilen – plädiert dafür, gesammeltes Plastik, zum Beispiel aus den ‚gelben Säcken‘, in einem chemischen Prozess zu recyceln und so die Herstellung von Kunststoffbauteilen für Autos nachhaltiger zu machen. BASF Polyurethans hat das bereits zur Marktreife gebracht, erklärt Mark Staniford.

Anhand des Bremspedals zeigt sich dieser Ansatz sehr praxisnah: Das Bremspedal ist ebenso wie das Gaspedal ein sicherheitsrelevantes Bauteil im Automobil, woraus sich hohe Qualitätsansprüche an die eingesetzten Materialien ergeben. In einem chemischen Prozess kann Kunststoffabfall so verwertet werden, dass neben Abwärme, Pyrolysegas und Koks, ein wertvolles Pyrolyseöl entsteht. Dieses Öl kann in bestehende Prozessketten zur Synthese von Kunststoffen aus raffiniertem Erdöl eingesetzt werden. Die erzeugten Kunststoffe aus Pyrolyseöl besitzen die gleichen Eigenschaften wie synthetisierte Kunststoffe aus fossilen Quellen. Kunststoffgranulate aus Pyrolyseöl sind derzeit bereits in ausreichender Menge verfügbar, sodass erste Produkte den Weg in Automotive-Anwendungen gefunden haben.

Re-think

„Ein Auto ist kein Handy“: So fasst Michael Frambourg von der Volkswagen Group Innovation, Sustainable Solutions, die vielschichtigen Herausforderungen und Lösungsansätze zusammen, die es aus Sicht des OEM Volkswagen zu lösen gilt, damit eine nachhaltigere Mobilität Wirklichkeit wird. Seine Empfehlung: Groß denken und die Sache groß angehen, statt es allein zu versuchen. Es müssten Prozesse entwickelt werden, die mitwachsen: für die Autos, die jetzt auf der Straße sind, für die Autos, die jetzt gebaut werden und auch für die Autos, die künftig gebaut werden.

Beim Rethink-Ansatz geht es im weitesten Sinne darum, umzudenken, bspw. bereits das Produktdesign kreislauffähig zu gestalten.

An erster Stelle steht hier die Bemühung, Fahrzeuge länger im Lebenszyklus zu behalten und diese über deren gesamten Lebenszyklus zu begleiten. Heutzutage hat ein OEM oft keinen Zugriff auf Fahrzeuge mehr, die länger als 15 Jahre im Markt sind, da diese exportiert werden und schließlich auf Halden in Drittstaaten enden. Somit kann der Materialkreislauf am End-of-Life bislang nur schwierig geschlossen werden.

Es könnten jedoch gute Komponenten ausgebaut, aufgearbeitet und in neue Fahrzeuge eingebaut werden. Dies muss sich rechnen, und daher ist davon auszugehen, dass dies für hochwertige Komponenten wie die Antriebsbatterie und den Antriebsstrang umsetzbar ist. Die verbleibenden Komponenten müssen recycelt werden. Ein Handy kann geschreddert werden, sodass in anschließenden Sortierverfahren Metalle und Kunststoffe gut voneinander getrennt werden können. Moderne Fahrzeuge verfügen jedoch über eine hohe Steifigkeit, sodass die Anlagen an ihre Grenzen stoßen. Auch das Schreddern von Elektroantrieben ist noch nicht serienreif.

Eine weitere Herausforderung ist die Nachverfolgbarkeit. Können digitale Produktpässe ein Lösungsansatz sein? Den Materialmix sortenrein aufzuarbeiten, ist schwierig: Insbesondere bei Kunststoffen ist eine Unterscheidung anhand physikalischer Merkmale herausfordernd. Dies führt dazu, dass recyceltes PET teilweise teurer ist als Neuware. Ein Ausweg stellt nach Frambourgs Worten der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen dar.

Re-fuse

„Für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen müssen wir die Verschwendung von Ressourcen vermeiden“, so der Ansatz von Dimitrij Lewin, CEO der Novo AI GmbH. Die Frage „Was ist Ihr konkreter Beitrag zur Kreislaufwirtschaft in der Automobilindustrie?“ beantwortet NOVO AI aus Hannover mit dem Einsatz smarter Sensorik, gekoppelt mit KI-gesteuerter Optimierung, am Beispiel von Werkzeugmaschinen. Denn das Wort Verschwendung muss hier im Kontext des produzierenden Gewerbes gesehen werden.

Refuse bedeutet die bewusste Ablehnung von nicht nachhaltigen Produkten oder Produktionsverfahren.

Ein großer Hebel, um die Energieeffizienz im Unternehmen zu erhöhen, ist, die Anlagenproduktivität zu steigern – also die Zeit, in der eine Anlage damit beschäftigt ist, ein Produkt herzustellen, bestmöglich zu nutzen. In vielen Produktionsfirmen können die Maschinendaten nicht zentral abgebildet werden, da die Maschinenhersteller den Datenzugang nicht oder nur mit großem Aufwand ermöglichen. Somit hat der jeweilige Betriebsleiter keine Möglichkeit, die Zustände seiner Anlagen kontinuierlich zu erfassen.

Die Sensorik der NOVO AI GmbH kann einfach an eine Werkzeugmaschine angeschlossen werden. Sie misst Vibrationen und akustische Schwingungen. Aus diesen Sensordaten ermittelt eine KI verschiedene Maschinenzustände. Bei einer Werkzeugmaschine ist in erster Linie zwischen Produktion und Stillstand zu unterscheiden. Durch die Analyse der Zustände können schnell Optimierungspotenziale erkannt werden: Entweder Reduktion des Stillstands, in dem die Maschine im Standby Energie verbraucht, oder eine Optimierung der Bearbeitungsstrategie aufgrund hoher Leerlaufanteile im Produktionszustand.

Als Beispiel erläutert Geschäftsführer Lewin, dass bei einem KMU innerhalb eines Jahres pro Maschine bis zu 372 Stunden Leerlauf erkannt werden konnten. Seit der Gründung im Jahr 2021 hat die NOVO AI GmbH gemeinsam mit ihren Kunden bereits 174 Tonnen CO2 einsparen können.

Re-cycle II

Problematisch sind diejenigen Bauteile, die im ersten Lebenszyklus verunreinigt werden. Ansonsten aber lassen sich alle Polyamide aus einem Auto recyceln und wiederverwenden.

Hartmut Schoon, Vorstandsvorsitzender der ENNEATECH AG Engineering Polymers aus Großefehn in Ostfriesland, sieht viel Potenzial für eine geschlossene Kreislaufwirtschaft der Rohstoffe. Bemerkenswert ist, dass der Prozess, den sein Unternehmen entwickelt hat, so weit optimiert werden konnte, dass vergleichbare mechanische Eigenschaften wie bei Neuware erreicht werden.

Recycling bedeutet, ausgediente Produkte zu entsorgen, möglichst werkstoffrein zu sortieren und in einen neuen Produktzyklus einzubringen.

Als Rohstoffquelle nutzt die Enneatech AG Abfälle aus der Textilindustrie aus Nordamerika, Europa, Brasilien und der Türkei. Diese werden am Standort in Großefehn unter Einsatz erneuerbarer Energien recycelt. Dazu werden die Polyamidfasern in einem ersten Schritt gereinigt. Später erfolgt die Re-Compoundierung: In diesem wichtigen Schritt werden durch die Zugabe von Zusatzstoffen die Eigenschaften „eingestellt“. Abschließend entsteht das recycelte Granulat als Ausgangsprodukt für neue Produkte.

Bei der Übertragung der Recyclingprozesse in eine geschlossene Wertstoffkette im Automotive-Sektor gibt es jedoch Herausforderungen, die angegangen werden müssen. Vorstandsvorsitzender Schoon reiht sich in die Liste derjenigen Kreislaufwirtschaftsexperten ein, die die Regularien und die Kontamination der Abfälle thematisieren.

Kommen Kunststoffe bei ihrer ersten Verwendung beispielsweise mit Substanzen wie Benzin, Öl, Fett, Brems- oder Kühlflüssigkeit in Kontakt, beeinflusst dies die erzielbare Güte der Rezyklate. Weiterhin sei zu klären, welche Materialanforderungen bspw. an eine Unterbodenabdeckung aus recyceltem Ausgangsmaterial gestellt werden.

Re-use und Re-cycle

Second Use und Recycling aus einer Hand: Die RE.LION.BAT. Circular GmbH kooperiert mit Autorecycling Kempers GmbH und baut basierend auf einem Joint Venture der DEPPE Group und der Fahrzeug-Werke LUEG AG eine große Recycling-Anlage im Emsland. Laut CEO Christoph Spandau läuft die Kooperation seit einem halben Jahr erfolgreich, und die Anlage soll Ende 2024 in Betrieb gehen.

Re-use bedeutet, Dinge wiederzuverwenden und Recycling heißt, ausgediente Produkte zu entsorgen, möglichst werkstoffrein zu sortieren und in einen neuen Produktzyklus einzubringen.

Bei dem Geschäftsmodell werden die Autoteile zunächst analysiert, ob sie wiederverwertbar sind, dann digital erfasst, gereinigt, verpackt, inventarisiert. Türen oder Stoßfänger werden als Ersatzteile für verunfallte E-Fahrzeuge genutzt. Auch die Batterien werden in einem Second-Use-Prozess zum Bau von Speichereinheiten wieder verwendet. Was nicht wieder verwendet werden kann, geht ins Recycling.

Die neue Fabrik der RE.LION.BAT.Circular wird zu einem sehr hohen Anteil von regenerativen Quellen gespeist, hat eine Kapazität von bis zu 60.000 Tonnen pro Jahr. Somit können zukünftig Rezyklate in neuen Batterien genutzt werden und die Lieferketten für die Wertstoffe werden verkürzt. Insbesondere das Element Lithium und seltene Erden sind Schlüsselelemente in Hochleistungsakkumulatoren. So entsteht in kürzester Zeit in Meppen ein nachhaltiger und ganzheitlicher Beitrag zur Kreislaufwirtschaft in der Automobilindustrie.

Re-think II

Damit die Kreislaufwirtschaft in der Automobilindustrie funktioniert, muss kreislaufgerecht konstruiert werden, sagt Dr.-Ing. Stefan Caba, Leiter Innovationsfeld nachhaltige Fahrzeugentwicklung bei der EDAG Group.

EDAG untersucht, wie ein Auto zu 100 Prozent aus Rezyklat hergestellt sein und auch wieder zu 100 Prozent zu Rezyklat werden kann. „Die Technologien, die da sind, können funktionieren, wenn man eine gute Sortenreinheit hat“, so Caba. Dann sei es möglich, aus einem Einzelteil durch Wiederverwendung oder durch Re-Manufacturing höherwertige Dinge zu gewinnen als sie lediglich zu recyclen.

Re-think steht für das Umdenken, bspw. das Produktdesign kreislauffähig zu gestalten, also schon in der Entwicklung zu bedenken, wie Emissionen gespart werden können.

Dafür hat die EDAG eine Software entwickelt, die Entwickler befähigt, die Ökobilanz neuentwickelter Produkte von Beginn an zu berücksichtigen. Die Ökobilanzierung wird auch als Life Cycle Assessment (LCA) bezeichnet. Der Lebenszyklus eines Produktes beginnt mit dessen Entstehung, also bereits in der Konzept- und Entwicklungsphase. In dieser Zeit werden bis zu 80 % der Emissionen eines Produktes festgelegt. Das bedeutet, dass mit einem LCA in diesen frühen Phasen bereits viele Emissionen gespart bzw. die Menge reduziert werden kann.

Stellschrauben zur Reduktion der Emissionen liegen in der Auswahl der Werkstoffe (bspw. Polyester oder Baumwolle), der Auswahl der eingesetzten Herstellungsprozesse, sowie bei der Dimensionierung der Produkte (z.B. durch den Einsatz von Leichtbautechniken). Die Software, die EDAG vorgestellt hat, bietet die Möglichkeit, verschieden Entwicklungspfade zu vergleichen und die Ergebnisse in einer vollumfänglichen LCA abzusichern.

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