Wie viele kaputte und End-of-live (EOL-) Batterien aus Elektrofahrzeugen werden in Zukunft anfallen? Seriös schätzen lässt sich das nicht. Fest steht aber, dass parallel zur zunehmenden Zell- und Batterieproduktion auch entsprechende Recyclingkapazitäten aufgebaut werden müssen. In der Harz-Region arbeiten Dr.-Ing. Sabrina Zellmer vom Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik (IST) und Dr. Dirk Schöps vom Recycling-Cluster wirtschaftsstrategische Metalle REWIMET e.V. gemeinsam mit der Transformationsbegleitung der Automotive Agentur daran, ein Pilotprojekt für eine Batterie-Kreislaufwirtschaft voranzubringen. Im Interview berichten sie von den Lösungsansätzen und Herausforderungen.

In welchem Stadium befindet sich die Technologie für das Recycling von Batterien in Niedersachsen?

Zellmer: Es kommt darauf an, welchen Abschnitt des Recyclings man sich anguckt. Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen dem mechanischen und dem metallurgischen Teil. In Niedersachsen sind wir durch die hohe Expertise in Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland mit am weitesten. Mit einem Blick in die Region sind wir schon auf einem hohen technologischen Reifegrad (TRL). Wir arbeiten daran, dass das noch weiter ausgebaut wird. Es gibt eine Reihe an sehr starken Akteuren, aber gerade in der Netzwerkarbeit sehen wir, dass wir an der einen oder anderen Stelle noch zusätzlicher Akteure bedürfen – damit die Kreislaufführung vollständig auf dem gleichen Maßstab umgesetzt kann.

Warum ist so wichtig, in diesem Bereich jetzt voranzukommen? Was sind die nächsten Schritte?

Zellmer: Der Transformationsprozess, in dem wir uns befinden, ist uns allen sehr bewusst. Wenn wir uns anschauen, was an Batteriezellen in Deutschland und Europa produziert werden soll, dann müssen wir parallel die zugehörigen Recycling-Kapazitäten aufbauen. Das wird sich noch in gewissem Maße nach hinten verschieben, weil wir idealerweise eine möglichst lange Lebensdauer der Batteriezellen haben. Aber für uns als vergleichsweise rohstoffarmes Land – was die Rohstoffe angeht, die in Batteriezellen eingesetzt werden – ist es sehr wichtig, dass wir die Rohstoffe in Deutschland und Europa halten und einer zirkulären Produktion zuführen. Wir haben exzellente Firmen gerade auch in Niedersachsen, die eine sehr hohe Kompetenz in dem Bereich haben. Momentan ist es noch eine wirtschaftliche Frage, wie schnell und in welchem Umfang man die Kapazitäten aufbaut, aber ich würde mal behaupten, dass wir als Bundesland mit am besten aufgestellt sind in Deutschland.

Von welchen Mengen rücklaufender Batterien reden wir?

Schöps: Es ist schwer vorherzusagen, wie hoch die Zulassungszahlen von E-Fahrzeugen sein werden, wie lange die Batterien halten und wie viele E-Fahrzeuge exportiert werden. Was wir aber gut schätzen können, sind die Mengen, die wir aus den Zell- und Batterie-Fabriken haben werden. Da gibt es Erfahrungswerte, wie hoch die Ausschusszahlen sind. Deshalb können wir relativ verlässlich sagen, dass wir in Niedersachsen eine fünfstellige Jahrestonnage haben werden. Es wird natürlich versucht, möglichst wenig Ausschuss zu produzieren. Wenn aber bei solchen komplexen Produktionslinien bei jedem einzelnen Schritt nur ein Prozent Abfall entsteht, hört sich das wenig an. Haben wir aber 18 Schritte, dann wird’s viel.

Von welchen Potenzialen seitens der niedersächsischen Wirtschaft gehen Sie aus?

Schöps: Wir haben Spezialisten in Niedersachsen, die schon in Segmenten dieser Recyclingkette arbeiten, und wir haben auch einen Pionier der Zellproduktion. Das sind eigentlich glänzende Voraussetzungen dafür, dass das zueinander passt. Was die Hersteller benötigen, und auch einfordern von der Recyclingwirtschaft: Sie wollen, dass diese Rohstoffe verfügbar bleiben, und das gelingt nur, wenn wir die Produkte im Kreislauf führen.

Zellmer: Was wir zusätzlich haben, sind Universitäten und Forschungseinrichtungen, die sich schon seit Jahrzehnten mit den Themen auseinandersetzen: u.a. die TU Braunschweig im Bereich der mechanischen Verfahrenstechnik und die TU Clausthal insbesondere im metallurgischen Bereich. Sie sind auch Partner in unserem Netzwerk. Es ist also bereits eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen der Forschung und Entwicklung und den Unternehmen in der Region entstanden.

Im Gespräch: Dr.-Ing. Sabrina Zellmer, Abteilungsleiterin Verfahrens- und Fertigungstechnik für nachhaltige Energiespeicher und Dr. Dirk Schöps, Cluster-Management, REWIMET e.V., Recycling wirtschaftsstrategische Metalle mit Angela Sielaff, Projektmanagerin Öffentlichkeitsarbeit der Automotive Agentur Niedersachsen (v.l.)

Welche Rolle übernimmt REWIMET, um die Ansätze für das Batterie-Recycling in der Region und in Niedersachsen voranzubringen?

Schöps: Als Netzwerk sind wir vor über 10 Jahren angetreten, um wie man heute sagt, „kritische“ Rohstoffe“ zu recyclen. Gerade jetzt unter den Eindrücken von Lieferkettenproblemen und Kriegsauswirkungen sehen wir, wie wichtig es ist, eine Versorgungssicherheit herzustellen. Dieses Thema „Versorgungssicherheit durch Recycling“ ist das, was REWIMET ausmacht. Wir machen das von Beginn an dadurch, dass wir Forschung und Wirtschaft zusammenbringen.

Welche Projekte gibt es momentan?

Schöps: Das wichtige Projekt, was wir angestoßen haben, ist, die Wege für ein Recyclingzentrum für Lithium-Ionen-Batterien im Harz zu bahnen. Dafür braucht es viel Netzwerkarbeit, denn wir haben niemanden, der alles kann. Wir haben eine Menge Spezialisten, die wir zusammenbringen müssen. Und das ist gerade in der Phase, in der wir jetzt sind – in einer Art Goldgräberstimmung, in der viele gerne mitmachen und sich positionieren möchten – besonders schwierig. Wir sind dabei, eine Vertrauensbasis zu schaffen, damit diese Unternehmen arbeitsteilig miteinander arbeiten und vorangehen können.

Ist es möglich, eine komplette Kreislaufwirtschaft in Niedersachsen zu etablieren?

Zellmer: Meiner Ansicht nach ja. Es ist die Frage, in welchen Maßstäben man das umsetzt. Das sind Stationen, Szenarien und Ausbaustufen, in denen man da denkt. Aber grundsätzlich gesehen haben wir alle Voraussetzungen dafür, sowohl im Industriebereich als auch in der Forschung und Entwicklung. Es gibt entlang der Prozesskette sicherlich noch ausbaufähige Verfahren sowie Unterschiede im aktuellen Technologiereifegrad. Ein zentraler Punkt der Netzwerkarbeit ist daher, herauszufinden, ob alle in den gleichen Produktionsmaßstäben interagieren können, und was noch notwendig ist, auch für einzelne Akteure, um dafür befähigt zu werden.

Welche Bedeutung hätte eine regionale Kreislaufwirtschaft im Hinblick auf künftige weltweite Krisen und Lieferengpässe?

Zellmer: Für Niedersachsen ist es sicherlich ein gewisses Alleinstellungsmerkmal, wobei wir das ja eigentlich auch jetzt schon haben: im kleinen Maßstab. In den Forschungseinrichtungen und auch zusammen mit einzelnen Unternehmen können wir ja schon Kreislaufwirtschaft. Die Idee ist, diese jetzt in einem großen Maßstab umzusetzen. Dabei ist es wichtig, etwas größer zu denken und nicht nur auf Batteriesysteme zu fokussieren. Versorgungssicherheit herzustellen, bedeutet nicht nur Ressourcenversorgung im Sinne von Wertmetallen, sondern auch Energieversorgung. Man sollte von Anfang an möglichst viel erneuerbare Energie für die Produktionsprozesse zur Verfügung stellen Und je schneller wir das machen, desto schneller kann man auf eigene Ressourcen im Umkehrschluss zurückgreifen.

Wo sehen Sie besondere Herausforderungen? Technologisch? Regulatorisch?

Zellmer: Das ist ja immer so ein Henne-Ei-Problem. Die Recycler sagen, sie brauchen die Zusage von den Zellfabriken, dass sie die ganzen Batteriesysteme bekommen, um sie zu recyceln – und andersherum. Was die regulatorischen Herausforderungen angeht, hat unsere Region durch ihre lange Tradition in der Chemieindustrie und Metallurgie sehr gute Voraussetzungen – was an anderen Standorten in Deutschland möglicherweise einer längeren Vorlaufzeit bedürfen würde. Es geht ja auch um Sicherheitsaspekte. Am Standort gibt es Experten, die schon seit Jahrzehnten mit solchen Materialien umgehen, mit denen im kleinen Maßstab ganz anders umgegangen wird, die aber gewisse Herausforderungen mit sich bringen, wenn man sie im Tonnenmaßstab verarbeiten will.

Wie sind Wirtschaft, Wissenschaft und Politik jetzt gefordert – auch bezüglich der Cluster-Arbeit?

Schöps: Die Wirtschaft ist gefordert, ihre eigenen Kompetenzen sehr genau zu identifizieren und zu beschreiben, und sich auch so weit zu öffnen, dass eine Kooperation zustande kommen kann. Wir arbeiten daran, dass die Unternehmen ihre Prozesse aufeinander abstimmen. Das ist wirklich wichtig und passiert nicht von allein. Im Verlauf ergeben sich immer wieder Forschungsfragen, die beantwortet werden müssen. Zum Beispiel, welche Verfahrensschritte nötig sind, um Grafit in ein neues Batteriesystem einzufügen. Vor 10 Jahren haben wir daran noch nicht gedacht und erstmal auf die teuren Metalle geschaut. Dass man heute auch über Grafit und Lithium nachdenkt, ist eine relativ neue Entwicklung, auch getrieben durch die Gesetzgebung der EU. Wenn tatsächlich Recyclat-Einsatzquoten verlangt werden, dann ist das ein klarer Ansporn für die Industrie, und dann muss die Wissenschaft auch Antworten auf die Forschungsfragen bringen. Ja, und die Politik muss dafür sorgen, dass Hemmnisse aus dem Weg geräumt werden, ich denke da an das Genehmigungsrecht beispielsweise.

Zellmer: Die Politik unterstützt uns schon ganz gut in dem Prozess, es gibt in vielen Bereichen Anknüpfungspunkte. Da wird man im Laufe der Zusammenarbeit noch neue Bedarfe aufdecken, die wir dann an die Politik adressieren müssen, und die wir dann vielleicht auch nur mit politischer Unterstützung lösen können. Es ist ja ein Prozess, der sich natürlich auch in unterschiedlichen Bereichen weiterentwickelt.

Wie kann die Transformationsbegleitung der Automotive Agentur auch künftig mit ihrer Expertise und ihren Erfahrungen bei Vernetzung und Kooperation unterstützen?

Zellmer: Was die Kolleginnen und Kollegen jetzt schon für uns gemacht haben, beschreibt ganz gut, wie sie uns auch in Zukunft unterstützen können. Das ist: Netzwerke einbringen und Personen zusammenbringen, aber auch einen Rahmen und eine Atmosphäre schaffen, in der man offen miteinander reden kann. Denn es wird nur funktionieren, wenn die unterschiedlichen Stakeholder ein gewisses Vertrauensverhältnis zueinander aufbauen. Da ist die Transformationsbegleitung ganz stark mit dabei. Sie unterstützt aber auch sehr gut den Prozess, um mit den politischen Vertretern in die Abstimmung zu kommen.

Schöps: Das, was die Automotive Agentur jetzt schon gemacht hat, ist großartig. Ich denke, dass das eine gute Kombination ist – die politische Unterstützung aus dem Land Niedersachsen und unsere Kenntnisse der Akteure und der Zusammenhänge. Ich glaube, es passt gut zusammen.

Bilder/Grafiken: IST / Michael Grube und IST / Marén Gröschel