Vier Tage lang drehte sich Anfang Oktober in Wolfsburg alles um die Zulieferer-Industrie. Den Start machte das „Automotive Supplier Summit“, bevor die Messezelte der IZB, der Internationalen Zuliefererbörse, im Allerpark geöffnet wurden. Die Automotive Agentur Niedersachsen hatte beide Gelegenheiten wahrgenommen, sich zu beteiligen, Kontakte zu knüpfen, ihre Arbeit vorzustellen und über Fachthemen zu sprechen.

Im Rahmen des Automotive Supplier Summit organisierte die Automotive Agentur eine Panel-Diskussion. Bei den Impulsvorträgen und der anschließenden Gesprächsrunde stand die Frage im Mittelpunkt, wie Lieferketten künftig flexibler sein können. Krisen wie die Corona-Pandemie, die Halbleiter-Krise, der Krieg in der Ukraine und jetzt die  Energiekrise, haben für Lieferketten-Unterbrechungen mit immensen Auswirkungen gesorgt.

Die Quintessenz: Eine Lieferkette kann reißen, ein Liefernetzwerk trägt länger: Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen müssen auf der Suche nach Lösungen unterstützt werden, um Produktions- und Umsatzausfälle zu vermeiden.

Lieferketten: Besser vernetzen, breiter aufstellen

Die vier Podiumsteilnehmer Björn Korte (Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung), Nina Stock (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz), Torge C.H. Brandenburg (CLAVEY Group) und Frank Schwope (Automotive Analyst NordLB) (1. Foto, v.l.) waren sich einig, dass ein vertrauensvoller Datenaustausch zwischen Unternehmen, insbesondere für KMU, immer wichtiger wird. Auch wenn sie ihre Produktionsstandorte (Stichwort: Nearshoring und Reshoring) besser vernetzen und sich breiter aufstellen mit Produkten und Dienstleistungen, sind ihre Lieferketten resilienter.

Für besondere Aufmerksamkeit und Begeisterung sorgte auf dem Automotive Supplier Summit ein Roboter namens „Toni“ des Unternehmens Reply. Mit seiner grünen Lackierung und dem harten Auftreten bei seinen schnellen Schritten war er nicht zu übersehen oder überhören. Er  demonstrierte seine KI-Fähigkeiten, u.a. indem er dem Projektleiter Transformationsbegleitung der Automotive Agentur, Norbert Gebbe, seine Unterlagen reichte. (Bild  und 5).

Gemeinschaftsstand auf der IZB

Anschließend war das Team der Automotive Agentur Niedersachsen auf der Internationalen Zuliefererbörse (IZB) unterwegs und präsentierte sich auf dem Niedersachsen Gemeinschaftsstand in Halle 5. Es gab einen spannenden Austausch über Innovationen, Ideen, Möglichkeiten und Erfordernisse der Transformation in der niedersächsischen Automobilwirtschaft und ihren Zulieferern.

Zu den Besuchern gehörten auch die Vertreter des Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, Otto Klaus-Dieter Marxen (1. Foto, 1.v.l.)  und Björn Korte (1. Foto, 4.v.r.).

Gelegenheit für mehrere Cluster-Treffen

Im Rahmen des Gemeinschaftsstandes trafen sich auf der IZB auch die Vertreter-/innen der regionalen und nationalen Automotive-Cluster. Dabei tauschten sie sich über aktuelle Themen und anstehende Schwerpunkte aus.

Unsere Nachbarn auf dem Stand

Es waren drei interessante Tage, in denen sich auf dem Niedersachsen Gemeinschaftsstand selbst viele Gelegenheiten zum Austausch ergeben haben. Wir haben die Chance genutzt, um mehrere unserer Nachbarn auf LinkedIn vorzustellen. Dabei haben wir gefragt, welche Herausforderungen und Antworten sie auf die Transformation haben. Alle Kurzberichte lesen Sie im Folgenden:

Hilfe beim Einstieg in die digitale Transformation

Ein liebevoll gebautes Modell einer Smart City verdeutlicht, was die beiden Softwareunternehmen bill-X und crossmarket place aus Osnabrück machen. Was Mutter- und Tochterfirma beide anbieten: die intelligente Vernetzung von Daten und Systemen.

Beim Anstöpseln an die Ladesäule gleich einen Kaffee im Coffee-Shop nebenan bestellen oder das Ticket für den Zoo buchen und gleich mitbezahlen, das ist mit der Software von bill-X möglich und für den Nutzer ganz einfach. Denn die Systeme rechnen untereinander ab. „Wir wollen auch Anreize schaffen, auf E-Mobilität umzusteigen“, sagt Geschäftsführer Kai Schwermann, z.B. durch Sondertarife an der Ladesäule, wenn gerade viel Strom da ist. Auch eine Live-Abfrage des Preises oder wie schnell ein Auto geladen werden kann, soll die Nutzung von E-Autos komfortabler machen.

„Wir helfen beim Einstieg in die digitale Transformation“, erklärt dazu Carsten Müller, Geschäftsführer von crossmarket places, das die Software von bill-X nutzt. Wenn ein Unternehmen oder ein Hausbesitzer Ladesäulen anbieten will, sorgt crossmarket places Unternehmen mit einer angepasste Software-Lösungen für eine genaue Abrechnung von Ladevorgängen. Wenn dazu noch Daten aus der PV-Anlage verfügbar sind, „können wir Nachhaltigkeit greifbar machen“: auf einem großen Bildschirm kann gezeigt werden, wieviel Strom gerade geliefert wird, welche Autos wieviel Strom gerade laden und wieviel CO2 dadurch eingespart wird.

Die Herausforderung der Zukunft sieht Carsten Müller weniger in der Entwicklung von Technologie, sondern „Wir brauchen ein faires Daten-Sharing in einem fairen Ökosystem“.

Eine Halterung für den Airbag-Deckel

Ein Gummiband mit Metallclips an den Enden, eine ganz feine Schlaufe und verschieden geflochtene dicke und dünne Seil: Was hat das mit Mobilität zu tun? Mehr als man zunächst denkt: Die Firma Dollenberg, Seilerei und technische Geflechte, aus Wathlingen besetzt mit ihren Produkten eine Nische. Inhaber Jan Dollenberg vermutet, dass sie in fast allen Automarken zu finden sind.

Um das Rätsel zu lösen: Das Gummiband ist eine Handyhalterung am Sitz im Auto. Die geflochtenen Seile dienen als Kern für Antriebsstränge in E-Autos, um die Gewichtskraft der Stromleitungen aufzunehmen. Somit hat die Mobilitätswende dem Unternehmen einen neuen Geschäftsbereich beschert.

Und die nur einen Millimeter dicke Schlaufe? Sie kann 100 Newton halten und „arbeitet“ in der verborgenen Mitte des Lenkrads. Sie hält die Abdeckung des Airbags fest und verhindert, dass dieser umherfliegt und Verletzungen verursacht – und zwar in dem Fall, dass der Airbag eventuell mal nicht auslöst, der Fahrer deswegen gegen den Hupenbereich prallt, wodurch sich die Abdeckung des Airbags sich verformen und loslösen könnte.

Zukunftssorgen macht sich Jan Dollenberg nicht. Er hat sich zu Beginn der Corona-Pandemie sich genügend Fasern ins Lager geholt. Die Vorräte reichen noch immer. Das Einzige, was das Wachstum bremse, sei die Personalnot. Deshalb versucht er, möglichst viele Abläufe zu automatisieren und in Spul- oder Flechtmaschinen mit größeren Kapazitäten zu investieren. Und das Einzige, was durch die gestörten Lieferketten nicht verfügbar ist, ist sind Fäden in einer neongelben, fluoreszierenden Farbe, auf die ein Zelthersteller nicht verzichten möchte.

Veränderung als Antwort auf die Transformation

Die Lösung, die der Ingenieursdienstleister Leannova aus Lingen und Hamburg für die Transformation auch in der Automobilzuliefererindustrie bietet, heißt: Optimierung der Wertschöpfungskette mit modernster Technik. Eine VR-Brille macht Ist- und Soll-Prozesse sicht- und ausprobierbar.

Das Ziel ist es, Ressourcen, Geld und Personal effizient einzusetzen, erläutert Manager und Standortleiter Marcel Knepper. Das bedeutet, die Durchlaufzeit von Werkstor zu Werkstor, vom Eingang bis zum Ausgang, zu verkürzen. Das bedeutet, Fehler zu vermeiden sowie durch Nacharbeiten weniger Ausschuss zu produzieren. Und es bedeutet, #Fachkräftemangel durch Automatisierung der Lagerhaltung und fahrerlose Transportsysteme auszugleichen.

Leannova hat Kunden in der Kunststoffverarbeitung oder auch in der Automobil-Umrüsterbranche. „Hier haben wir die administrativen und die Produktionsprozesse angeschaut und digital dargestellt. So konnten wir zum Beispiel sehen, wo Mitarbeiter viel laufen müssen und sich stattdessen ein Transportband anbietet.“, erklärt Knepper. Dabei sei besonders der Blick auf das große Ganze und eine strategische Planung der Veränderung wichtig.

Sein Blick in die digitale, automatisierte und nachhaltige Zukunft: „Die KMU müssen sich verändern, um der Transformation standzuhalten. Wir müssen die Fabrik, die IT und die Strategie gemeinsam anschauen, um eine Antwort auf den Transfomationsprozess zu bekommen“.

Bremsventile werden immer gebraucht

Elektromagnetventile sind das Geschäft von nassmagnet aus Hannover. Im Moment hat Marcus Rösler, zuständig für den Vertrieb im Automotive-Bereich, mehr Nachfragen als Lieferpotenzial.

Die Klimakrise hat für Zuliefererprobleme gesorgt: Im Moment zeige sich das beim Kautschuk. „Es ist schwierig, Dichtungen zu bekommen, die wir für die Ventilsteuerung brauchen“, berichtet Rösler. Nassmagnet hat umgestellt – von einer Produktion „just in time“ zu einer Produktion „just in case“. Heißt: Produziert wird dann, wenn es möglich ist – um eine Lagerhaltung aufzubauen.

Was die Mobilitätswende und die Transformation der Automobilwirtschaft angeht, so sieht Rösler das Unternehmen gut aufgestellt: Die pneumatischen Ventile finden sich in den Bremssystemen von Lkw und Pkw und in den sog. Komfortsystemen, mit denen sich Achsen bzw. ganze Lkw gerade ausrichten lassen. Dafür wird es weiterhin einen Bedarf geben. „Gebremst wird immer. Und so lange Menschen an Bord sind, wird in den Fahrzeugen eine Stoßdämpfung gebraucht.“

Und es muss auch immer nivelliert werden, „sonst fliegen die Autos weg“. Denn je schneller ein Wagen fährt, desto mehr Luft gerät unter die Karosserie, die für Auftrieb sorgt. Per Druckluft wird dem automatisch entgegengewirkt, das Auto während der Fahrt sozusagen tiefergelegt. Das ist auch in E-Autos notwendig. Um sich noch besser für die Zukunft aufzustellen, will nassmagnet an Ventilen forschen, die den Wasserstoff-Zufluss zum Motor steuern.

Breit aufstellen, um Krisen und Transformation zu meistern

„Gelenkt wird immer“: Die Geschäftsführer der Schmalriede Zink GmbH, Thomas Schmalriede und Dani Musa, sehen sich für die Transformation in der Automobilwirtschaft gut gerüstet. Denn ihre Dienstleistung ist unabhängig vom Antrieb.

Teile für die Lenkung, Scharniere für den Kofferraum oder Halterungen für die Gurtrolle werden auch in E-Autos gebraucht. Diese wiederum benötigen Beschichtungen, die das Unternehmen aus Ganderkesee anbietet. Trotzdem lehnt sich Thomas Schmalriede angesichts von Energie- und Mobilitätswende und den Krisen in der Welt nicht zurück. „Breit aufstellen“ ist seine Antwort. Die Kunden des Unternehmens kommen zum einen aus unterschiedlichen Branchen: Möbel- und Fensterhersteller beispielsweise. Und zum anderen wirbt er um weitere große Automobilhersteller als Kunden.

Lieferausfälle und die Stromversorgung schreiben allerdings auch ihm die Sorgenfalten ins Gesicht. „Wir versuchen, so gut es geht, durchzukommen. Im Moment gibt es Lieferprobleme bei den Chemikalien, die wir benötigen“, sagt Thomas Schmalriede. Als eigenen Beitrag zur Energiewende hat das Unternehmen in E-Autos und Ladesäulen investiert, wie auch in Photovoltaikanlagen, die zurzeit 20 Prozent der Energie, liefern. Auch hier heißt Thomas Schmalriedes Lösung: „Breit aufstellen“. Deshalb wird  gerade über eine eigenen Windkraftanlage auf dem Firmengelände nachgedacht.

Kunststoffe mit mehr Nachhaltigkeit

Mit ihren Kunststoff-Teilen für den Fahrzeuginnenraum und äußeren Anbauten ist die Welp Group Farmingtons „nicht ganz so sehr“ von den Herausforderungen betroffen, die von der Transformation ausgehen, sagt Vertriebsleiter Martin Boßmeyer.

Die Welp Group macht mit einem Unterbau für einen Autositz auf dem Messestand auf sich aufmerksam. Außerdem entwickelt und produziert es Instrumententafeln und weitere Cockpit-Teile, Mittelkonsolen oder Türverkleidungen sowie Außenteile wie Stoßfängersysteme. Prototypen und Werkzeugbau gehören dabei mit zu den Dienstleistungen.

„Die Teile werden gebraucht und eingesetzt, unabhängig davon, ob es sich um einen Verbrenner oder ein E-Fahrzeug handelt“, erläutert Boßmeyer. Das Unternehmen beschäftige sich im Moment eher mit Fragen rund um den CO2-Fußabdruck der Produkte und Fragen der Nachhaltigkeit – entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Wie gut können die eingesetzten Kunststoffe recycelt werden? Können andere Kunststoffe genommen werden, die leichter sind – damit auch das Fahrzeug leichter wird und weniger CO2 ausstößt? „Wir schauen auch, ob die Teile anders geformt werden können. Da wollen wir von der Natur lernen und deren Lösungen abgucken“.

Für die Zukunft sieht Vertriebsleiter Boßmeyer Entwicklungsprojekte, die herausfinden, wie bei der zunehmenden Elektrifizierung und Vernetzung der Mobilität die Sensorik-Teile in die Kunststoff-Teile eingesetzt werden können. Ob er also insgesamt frohgemut nach vorne schaut? „Ja, wenn die Situation auf dem Weltmarkt nicht wäre: die Lieferketten und die Energieproblematik“ – die alle Unternehmen mehr oder weniger stark beschäftigt.

Bilder: FAIRworldwide Messe- und Veranstaltungsmanagement GmbH,
Angela Sielaff