Die Automotive Agentur Niedersachsen setzt in diesem Jahr einen Fokus auf das Thema Recycling von Kunststoffbauteilen aus Fahrzeugen und möchte den fachlichen Austausch zwischen Zulieferern, insbesondere aus der Automobilbranche, Wissenschaft und Forschung und Netzwerk-Akteurinnen und -Akteuren fördern – um Möglichkeiten und Wege aufzuzeigen sowie Notwendigkeiten zu formulieren. Eine digitale Veranstaltung im Format „Digital 120“ zum Auftakt im April sowie ein erster Workshop vor der Sommerpause sind in Planung.

Laut Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) müssen im Vergleich zu 2023 die CO2-Emissionen im Jahr 2030 in der Industrie um mehr als 30% reduziert werden. Auch die Industrie soll darauf vorbereitet werden, bis 2045 treibhausgasneutral zu werden. Somit stehen die Unternehmen in Deutschland unter einem hohen Handlungsdruck, die Dekarbonisierung voranzutreiben. Zur Erreichung dieses Zieles kann eine zirkuläre Wertschöpfungskette beitragen.

Für die Automobil(zulieferer)industrie, insbesondere auch für die kunststoffverarbeitende Industrie, ergeben sich viele Fragen, die zu lösen sind: Wie kann ein Markt der Circular Economy aussehen, der es ermöglicht, recycelte Materialien oder wiederverwendbare Teile aus Altfahrzeugen für die Produktion neuer Bauteile zu verwenden? Wie müssen sich Unternehmen für eine zirkuläre Produktion aufstellen? Wo steht das Unternehmen in der Wertschöpfungskette und wo sind unbesetzte Lücken? Wie können sich die Tier-Supplier vorbereiten? Was passiert mit den einzelnen Bauteilen? Wie muss ich die Bauteile entsprechend dem Recycling designen?

Diese Fragen wollen wir bei der Online-Veranstaltung (Anmeldung hier) und dem Workshop diskutieren, erste Fragen klären und gemeinsam in Nachfolgeprojekten beantworten. Bei Interesse wenden Sie sich bitte an: automotive@nds.de

CO2-ärmer geht einher mit mehr Zirkularität

Eine zirkuläre Wirtschaft ermöglicht nicht nur eine größere Wertschöpfung, sondern vermindert auch Rohstoffimporte und somit Treibhausgasemissionen. Eine CO2-ärmere und zirkuläre Produktion verändert aber Lieferketten in der Industrie. Fokus wird zukünftig eine geschlossene Kreislaufwirtschaft sein, bei der verschiedene Lösungen und Technologien verbunden werden[1]. Um Produkte hin zu einer geschlossenen, nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu entwickeln, ist es erforderlich, bereits in die Konstruktion und Entwicklung eines Produktes zu schauen. Dabei achten die Konstrukteure und Entwickler sowohl auf einen nachhaltigen Gestaltungsansatz (Design for Sustainability), als auch auf Gestaltungsoptionen und Materialauswahl hinsichtlich der Eignung für Recyclingverfahren sowie der Demontierbarkeit (Design for Recycling). Bei einem zirkulären Design hingegen werden alle Stufen des Lebenszyklus und des Herstellungsprozesses eines Produktes berücksichtigt. Dieses Design erleichtert die Wiederverwendung als auch das Re- und Upcycling von Bauteilen und ermöglicht eine Reduktion des Abfalls (Design for Circular Economy). Dabei spielen nachhaltiges Material, leicht demontierbare Teile und geschlossene Lieferketten eine entscheidende Rolle. Beispielsweise sollten Materialverbindungen an ihren Fügestellen leicht trennbar sein, Materialkombinationenvermieden und die die Demontage vereinfach werden.

Beim Zerkleinern von Fahrzeugen wird neben der Metallfraktion aus Eisen- und Nichteisenmetallen auch die soge-nannte Schredder-Leicht-Fraktion gewonnen, die z.B. aus Kunststoffstoßstangen, Dachhimmel, Sitzpolstern und Mit-telarmlehnen bestehen. Bild: karepa – stock.adobe.com

Herausforderung für Fahrzeug-Recycling bereits da

Mit dem Vorschlag der EU-Kommission vom 13. Juli 2023 einer neuen Verordnung über Altfahrzeuge, die die jetzige Richtlinie 2000/53/EU (ELV directive) und die Richtlinie 2005/64/EG über Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen ersetzen soll, werden Regeln für die Wiederverwendung, Recycling und Verwertung von Fahrzeugen festgelegt. Wann die Verordnung beschlossen wird, steht aktuell noch nicht fest. Auf mögliche Veränderungen sollten sich die Automobil- und Zuliefererindustrie, besonders die kunststoffverarbeitende Industrie bereits jetzt einstellen, da sich die Anforderungen auf die gesamte Lieferkette der Tier-Supplier auswirken werden. Deshalb ist es wichtig, sich rechtzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen, mit den Lieferanten und Kunden zu sprechen, regionale Partner zu stärken und die gesamte Wertschöpfungskette zu betrachten. Sollten sich dabei Regelungslücken ergeben, kann das auch adressiert werden.

[1] https://news.industriall-europe.eu/documents/upload/2023/7/638245789084771156_Final__report_DE_chemneut.pdf

Dekarbonisierung betrifft alle Glieder der Wertschöpfungskette. Um die Ziele zu erreichen, wird insbesondere mehr Kreislaufwirtschaft notwendig sein. Bild: malp – stock.adobe.com

Wiederverwertung von Kunststoff im Fokus der niedersächsischen Forschung

Welche Möglichkeiten das Recycling von Kunststoffbauteilen hat, wird daher schon in vielen Forschungseinrichtungen untersucht. Bei einigen Kunststoffbauteilen mit verschiedenen Materialkombinationen, Klebeverbindungen und Farben stößt das mechanische Recycling an seine Grenzen. Meist können solche Bauteile durch das chemische Recycling in ihre Grundbausteine umgewandelt werden. Umstritten ist jedoch die Nachhaltigkeit der chemischen Prozesse und ob die Grenzen des mechanischen Recyclings wirklich schon voll ausgeschöpft sind.

Mit der Frage der Grenzen und Perspektiven des mechanischen Recyclings beschäftigt sich u.a. Prof. Dr.-Ing. Hans-Josef Endres des Instituts für Kunststoff- und Kreislauftechnik an der Leibniz-Universität Hannover. Zusammen mit Dr. Klaus Kümmerer, Professor für Nachhaltige Chemie und Stoffliche Ressourcen, an der Leuphana Universität Lüneburg entwickeln beide zusammen Recyclingstrategien für kunststoffbasierte Autoteile, für die es noch keine Lösung zum Recycling gibt. Dabei greifen sie auf Recyclingverfahren wie mechanisches, lösungsmittelbasiertes oder chemisches Recycling zurück. Sie stellen die Verfahren für die Schredder-Leicht-Fraktion, d.h. Kunststoffbauteile mit meist komplexer Materialzusammensetzung, technologisch, ökonomisch und ökologisch gegenüber und bewerten diese. Bis zu 25 % des Output-Materials beim Schreddern von Altfahrzeugen sind dieser Fraktion zuzuordnen. Ebenfalls sollen Ansätze für ein „Design for Recycling“ erarbeitet werden. Ziel ist es, innovative Ansätze für das mechanische Recycling zu finden.

Dekarbonisierung betrifft alle Glieder der Wertschöpfungskette

Dekarbonisierung bedeutet schlichtweg, CO2-Emissionen zu vermeiden und zu reduzieren. Nach dem Greenhouse Gas Protokoll – initiiert und koordiniert durch das World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) und das World Resources Institute (WRI) –, welches nach einer Testphase im Jahr 2004 überarbeitet wurde, können Emissionen in drei sogenannte Scopes eingeteilt werden. Scope 1 beschreibt die direkten Emissionen aus der eigenen Produktion oder Besitz, Scope 2 die indirekten Emissionen aus der Nutzung eingekaufter bzw. externer Energie und Scope 3 indirekte Emissionen aus z.B. Resultaten der Nutzungsphase der Produkte und eingekauften Waren.

Die Dekarbonisierung in der Industrie kann durch unterschiedliche Maßnahmen in Scope 1 und 3 erfolgen, die die Automotive Agentur Niedersachsen in ihrer Arbeit fokussieren will. Möglichkei-ten ergeben sich z.B. in den Bereichen Energieeffizienz, Energieerzeugung, Defossilisierung oder Kreislaufwirtschaft. Quelle: Eigene Darstellung nach dem Greenhouse Gas Protocol (GHG)

Gestiegene Anforderungen als Chance betrachten

Mit den Nachhaltigkeitszielen und den steigenden Nachweispflichten wie dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LKSG), der EU-Taxonomie und der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), steigen auch die Anforderungen an die Lieferanten, CO2-Emissionen zu verringern.

In der Industrie steigt der Druck, den Scope 3 zu verbessern. Die Anforderungen der Unternehmen an die Lieferanten gehen so weit, dass diese z.B. einen vorgegebenen Anteil an Rezyklaten vorweisen und eine Abschätzung zum Carbon Footprint pro Bauteil abgeben sollen. Obwohl es sehr aufwändig sein wird, diese Anforderungen aus Scope 3 umzusetzen, können auch Chancen für eine Neuausrichtung des Unternehmens entstehen. Es ist z.B. möglich, Geschäftsmodelle zu überarbeiten, Lieferketten anzupassen und die gewonnenen Informationen für effizientere Prozesse und nachhaltigere Produkte zu nutzen.

Daten spielen eine bedeutsame Rolle

In Scope 3 geht es vor allem darum, die CO2-Emissionen in der Nutzungsphase der verkauften Produkte (Downstream bzw. nachgelagerte Wertschöpfungskette), aber auch die der eingekauften Waren und Dienstleistungen zu verringern (Upstream bzw. vorgelagerte Wertschöpfungskette). Dazu ist es erforderlich, über die Daten in der Lieferkette zu verfügen. Bisher greifen die meisten Unternehmen auf Sekundärdaten zurück und berechnen ihren CO2-Fußabdruck auf Basis von eigenen Messungen und Erfahrungswerten. Um eine datengesteuerte Wertschöpfungskette zu schaffen, wurde die Plattform Catena-X gegründet. Mittels eines standardisierten Messverfahrens und einer transparenten Lieferkette können CO2-Daten verglichen und optimiert werden. Für den Wissenstransfer und die Bündelung der Projektergebnisse bietet der bundesweite TransformationsHub Transfer-X eine multimediale Lern- und Wissensplattform an. Hier ist die Automotive Agentur Niedersachsen Konsortialpartner und arbeitet daran, die Möglichkeiten eines gemeinsamen, transparenten und sichereren Datenaustausches mit neuen Vermittlungsmethoden den Automobilzuliefererunternehmen in Niedersachsen näher zu bringen (vgl. https://automotive.nds.de/transfer-x/).

Nachhaltigkeit wird, wenn sie es nicht bereits ist, in der Unternehmenskultur verankert sein müssen, um die Anforderungen der Zukunft zu meistern. Daher ist es eine grundlegende Aufgabe in Unternehmen, für Nachhaltigkeitsthemen zu sensibilisieren und das Gesamtverständnis zu schärfen – und das vor allem in den jeweiligen „direkt betroffenen“ Abteilungen wie Beschaffung, Konstruktion oder Produktion.

 

 

Bild Header: malp – adobe.stock.com